Freitag, 25. April 2008

Brot ist keine Ware!

Unsere weltweite Forderung: Preiskontrollen für Lebensmittel!

Francis Byrne

Hunger ist schnell sehr schmerzhaft, ruft schnell langfristige körperliche Schädigungen hervor und kann sehr schnell töten. In Haiti werden Fladen aus Schlamm gebacken und auf den Märkten verkauft. Diese Fladen haben keinen Nährwert. Trotzdem werden sie von Menschen, die sich kein Brot leisten können gekauft, um den schmerzenden Hunger zu stillen. Hunger ist aber keine notwendige Mangelkrankheit, sondern Ausdruck der Abgründe des Kapitalismus.

Anders als es viele bürgerliche Medien immer wieder darstellen, ist eine allgemeine Getreideknappheit nicht der Grund für die weltweite Preisexplosion bei Lebensmitteln. Die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, FAO (Food and Agriculture Organisation) berichtet, dass die weltweite Getreideproduktion im Jahr 2007 um 5 Prozent gegenüber 2006 gesteigert wurde. Für das laufende Jahr 2008 wird eine weitere Steigerung des Zuwachses erwartet. (1) Die Weltbevölkerung wächst zur Zeit jährlich um etwa 1,2 Prozent an. Daran dass die Nachfrage der Menschen also immens gestiegen ist, liegt die Preisexplosion also nicht.
In den bürgerlichen Medien wird auch die Klimaveränderung oft für die Preisexplosion verantwortlich gemacht. Tatsächlich gibt es regionale Klimaveränderungen, die Ernten negativ beeinflussen. Aber es gab 2007 weltweit mehr geerntetes Getreide als im Vorjahr. Die Klimaveränderung kann also auch nicht für den Preisanstieg verantwortlich sein kann.

Viele Lebensmittel sind von den Preiserhöhungen betroffen. Laut UN Lebensmittelprogramm WFP (World Food Programme) sind die Preise für Lebensmittel im Februar 2008 um 55 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. In den ersten drei Märzwochen gab es einen weiteren Preisanstieg von 20 Prozent. Lebensmittel sind also im März 2007 um etwa 70 Prozent teurer als im Vorjahr.
Andere Zahlen können die Dimensionen verdeutlichen. Laut „Neue Züricher Zeitung“ verdoppelten sich die Preise für Weizen und Soja zwischen Frühjahr 2007 und Februar 2008. Mais stieg seit letztem Herbst 2007 um 66 Prozent an, Reis in den vergangenen 10 Monaten um 75 Prozent. Der vom FAO errechnete Food-Index für Lebensmittelpreise ist innerhalb von nur einem Jahr (März 2007 zu März 2008) um 57 % gestiegen. Weltweit droht die Kaufkraft der Massen keine ausreichende Ernährung mehr zu gewährleisten.
Laut Bild-Zeitung vom 12.4.08 sind die Lebensmittelpreise im April 07 im Vergleich zum Vorjahresmonat wie folgt gestiegen: Hafer plus 44 Prozent, Mais plus 65, Reis plus 63, Sojabohnen plus 71, Sojamehl plus 76, Sojaöl plus 88, Weizen plus 80 und Zucker plus 20 Prozent.

Die Direktorin des World Food Progamme, der UN, Sheehan sagt, es sei das erste mal in Geschichte ihrer Organisation, dass nicht wegen einer Krise wie Krieg oder Dürre um zusätzliche Finanzmittel gebeten würde, sondern wegen der Marktbedingungen. Tatsächlich zeichnen die Marktbedingungen, nämlich der Profitzwang des kapitalistischen Systems, für die Hungerkatastrophe verantwortlich.

Spekulation und Inflation

Der wichtigste Faktor bei der Preisexplosion ist der Versuch, Gewinne durch Spekulation mit Lebensmitteln zu erzielen. Das kapitalistische System hat ein immenses Profitproblem. Es kreist sehr viel Kapital um die Welt, das verzweifelt auf der Suche nach lohnenden Anlagemöglichkeiten ist. Mit Investitionen in die Produktion von Konsumgütern wie Mobiltelefone, Computer, Autos oder Waschmaschinen können im Verhältnis zum eingesetzten Kapital nur noch geringe Profite erwirtschaftet werden.

Um dem Effekt der schmäler werdenden Profitrate zu entgehen, entwickelte sich auf dem US-amerikanischen Immobilienmarkt eine riesige Spekulationsblase. Hunderttausenden von Geringverdienern wurde ein Hausbaukredit aufgedrängt, was die Konjunktur für einige Jahre belebte. Im Sommer 2007 platzte diese künstliche Blase und platzt weiterhin. Menschen konnten die Tilgung und die Zinsen für ihre Häuser nicht mehr bezahlen und werden nun massenhaft von ihren Immobilien vertrieben. Milliardensummen lösen sich im Moment bei den Banken in Luft auf.
Wo will das Kapital noch Geld verdienen? Mit Krieg, Rüstung, Rohstoffe wie Öl und Lebensmittel ist noch etwas zu verdienen. Nur so kann der rasante Preisanstieg seit etwa Anfang der Krise Juli/August 2007 erklärt werden. Nestle Chef Brabeck-Letmathe sagte laut einem Bericht der “Neuen Züricher Zeitung“: „Früher konnten wir ungefähr abschätzen, wie die Ernten ausfallen werden – und uns auf entsprechende Preise einstellen. Das ist vorbei. Wichtiger als die Ernte ist heute, ob die kalifornische Pensionskasse Calpers entscheidet, mit 750 Millionen Dollar in den Rohwarenmarkt einzusteigen.“ Laut der amerikanischen Zeitschrift „Money Week“ sind im vergangenen Jahr 2007 rund 142 Milliarden Dollar in die Spekulation mit Nahrungsmitteln geflossen. Zum Vergleich: 1998 waren es lediglich 10 Milliarden. (2)

Hand in Hand mit dem Platzen der Immobilienblase und der tiefen Krise der Weltwirtschaft geht eine massive Geldentwertung einher. Die kapitalistische Weltwirtschaft steht am Anfang einer starken inflationären Phase. Geld verliert im Verhältnis zu realen Werten – wie eben Gold, Öl oder auch Lebensmittel – immer mehr an Wert. Spekulation und Inflation sind zwei ganz wichtige und voneinander untrennbare Faktoren für die Teuerung bei Lebensmitteln.

Biodiesel

Der dritte wichtige Faktor ist die Ausweitung der Produktion von biologisch erneuerbaren Kraftstoffen aus Lebensmitteln wie – hauptsächlich – Mais. Ursprünglich war dies eine Idee um die Umweltbelastung durch das verbrennen von Erdölprodukten zu reduzieren. Allerdings hat sich herausgestellt, dass Biokraftstoffe in der CO2-Klimabilanz und in anderen wichtigen Umweltfaktoren sogar schädlicher ist, als herkömmlicher Treibstoff. Aufgegriffen wurde diese Idee von George Bush, der hofft, mit Biodiesel unabhängiger von den steigenden Ölpreisen zu werden. In diesem Jahr 2008, wird die USA 138 Millionen Tonnen Mais für die Produktion von Biosprit verwenden.

Die Institution „International Food Policy Research“ geht davon aus, dass etwa 70 Prozent der Preissteigerungen dem Biosprit verschuldet sind. Für sich allein genommen rechtfertigt die Biodieselproduktion diese hohe Zahl nicht. Jedoch hat die Entscheidung des US-Präsidenten, verstärkt auf Biodiesel zu setzen, den Markt ungeheuer belebt und die Spekulation angeheizt. Zusammen mit der Spekulation könnte die von IFPR verkündete Zahl realistisch sein. Durch die Produktion von Biosprit werden wichtige Ressourcen wie Land und Wasser der Lebensmittelproduktion entzogen.

Eine kleinere Rolle bei den Preissteigerungen spielt die verstärkte Nachfrage aus den Schwellenländern und aufsteigenden Ländern wie China. Eine so rasante Preisexplosion wie seit dem Beginn der Krise im Spätsommer 2007 rechtfertigt diese Nachfrage jedoch nicht.

Es sind also im Wesentlichen drei Gründe für die Preisexplosion zu nennen: Spekulation, Inflation und Investition in Biodiesel. All diese Ursachen liegen im kapitalistischen System. Die Produktion im Kapitalismus basiert nicht auf der Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen, sondern basiert auf der Notwendigkeit, Profite zu erzielen. Nötigenfalls geht das Kapital, also die herrschende Klasse, bei der Erzielung von Profiten auch über Leichen; Millionen von Hungertoten in diesem Fall.

Marx zitiert in seinem Kapital (Bd. 1) den Ökonomen J. Dunning mit den Worten: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel.“

Diesem mörderischen Profitwahnsinn setzen wir folgende Forderungen entgegen: Hunger ist keine Notwendigkeit! Lebensmittel sind keine Ware! Lebensmittel sind nicht zum Tanken da! Preiskontrollen bei Lebensmitteln!

Unsere revolutionäre Perspektive

Jaques Diouf, der Generaldirektor der FAO, der Nahrungs- und Landwirtschaftorganisation der UNO, warnte im Zusammenhang mit den explodierenden Lebensmittelpreisen vor schweren sozialen Unruhen. Diese gibt es schon längst. Ob in Ägypten, Haiti, Indonesien, Mexiko, Pakistan, Guinea, Usbekistan, Jordanien, Marokko, Jemen, Peru, Honduras, Senegal, Mauretanien, Burkina Faso, Kamerun oder Vereinigte Arabische Emirate ... überall sind die Massen empört über die rasant ansteigenden Preise für Grundnahungsmittel. Zunehmend entwickeln sich Brotaufstände zu einem weltweiten Phänomen. In Jordanien sind sogar die Mitarbeiter der UN in einen Streik getreten, um Löhne zu fordern, die mit den Preissteigerungen mithalten können.

In Honduras gab es Mitte April große Demos gegen die Lebensmittelpreisexplosion. Dort forderten die Demonstranten Preiskontrollen bei Lebensmitteln. Das ist unsere wichtigste Forderung. Mit dieser Forderung stellen wir gleich die Profitverwertung des Kapitals in Frage. Das ist schon ein erster Schritt in Richtung einer Gesellschaft, die nicht ausgerichtet ist auf Profite, sondern auf die Bedürfnisse des Menschen. Weltweit – und auch in Deutschland - kommen folgende Aufgaben auf die revolutionäre Linke zu: Demonstrationen gegen Hunger zu organisieren, Komitees für Preiskontrollen zu gründen und beschlossene Preiskontrollen auch durchzusetzen.

Auch die Kolleginnen und Kollegen in Ägypten weisen mit kämpferischem Protest und mit Streiks auf unsere Perspektive. Der Hunger kann nicht von oben in Form von Almosen abgeschafft werden. Die Massen müssen selbst für ihre Befreiung kämpfen.

Auch in Deutschland setzen sich die Preiserhöhungen heftig durch. Die Teuerungsrate für Lebensmittel in Deutschland lag im Januar bereits bei 7,7 Prozent. Laut einer Berechnung der Bank UniCredit ist das Einkommen der Rentner vom Jahr 2004 zu 2008 um 8,5 Prozent gesunken. Das ist ein erheblicher Kaufkraftverlust. Bei der Arbeiterklasse sieht es ähnlich aus. Zusammen mit den Preiserhöhungen geben die Reallohnkürzungen der letzten 20 Jahre ein gefährliches Gemisch. Zumal die explosive Teuerung auch den Euro-Raum erreicht. Hier stiegen die Verbraucherpreise März 2008 im Vergleich zum Vorjahresmonat wie folgt: Heizöl plus 40 Prozent, Quark plus 45, Mehl plus 34, Vollmilch plus 31, H-Milch plus 28, Käse plus 26, Butter plus 19 und Nudeln – ein sehr wichtiges Grundnahrungsmittel in Deutschland – um 26 Prozent. Immer mehr Menschen bekommen auch in Deutschland Probleme, sich und ihre Familien zu versorgen.

Besonders zynisch ist die Entwicklungsverhinderungsministerin Wieczorek-Zeul, SPD, im Interview mit der „Tageszeitung“ vom 17.4.2008. Zwar werden vom Welternährungsprogramm 10 Millionen Dollar mehr bereitgestellt. Das ist aber für die große Anzahl der derzeit Hungernden ein verschwindend geringer Betrag. Allein umgerechnet auf die 7 Millionen Menschen Haitis wären das pro Kopf nur 1,43 Dollar ... im Jahr!
Doch der Zynismus ist noch steigerungsfähig. Sie sagt: „Und die Wahrheit ist, das ein Teil der afrikanischen Länder zu wenig investiert.“
Tatsächlich ist es aber so, dass besonders die EU mit hohen Agrarsubventionen für die eigene hoch technisierte und hoch effiziente Agrarproduktion und mit Zollschranken die Grundlage für eine funktionierende Infrastruktur bei Nahrungsmitteln in Afrika und anderen unterdrückten Ländern zerstört. Da lässt Frau Wieczorek-Zeul die mörderische Fratze hinter der sonst so menschenfreundlichen Oberfläche aufblitzen.

Der Kapitalismus ist ein absolut absurdes und unvernünftiges System. In den USA wurden beispielsweise Hunderttausende schöner Häuser gebaut. Jetzt, wo immer mehr Menschen dort die Tilgung und Zinsen nicht mehr zahlen können, werden jeden Monat 200.000 Familien aus ihren Häusern vertrieben. Da die von den Banken nun gepfändeten Häuser unverkäuflich sind, werden sie zu Tausenden wieder der Witterung überlassen und verfallen. Bloß wohnen dürfen die Menschen dort nicht! Noch ein Beispiel: die Produktion von Getreideproduktion ist 2007 um 5 Prozent gestiegen, die Supermärkte sind voller Lebensmittel. Trotzdem verhungern Menschen, trotzdem müssen Mütter ihren Kindern beim Verrecken zusehen. Da überschreitet die Absurdität des kapitalistischen Systems ganz schnell die Grenze zum Kriminellen.

Die österreichische Zeitung ‚Die Presse‘ schreibt unter dem Titel: „Weltweite Proteste: Die Rückkehr der Brotrevolten": „Es wäre nicht zum ersten Mal in der Geschichte, dass Regime stürzen, wenn der Brotpreis steigt." (3) Allerdings wird es nicht reichen, wenn wir die eine kapitalistische Regierung gegen eine andere austauschen. Nur eine solidarische und planvolle Gesellschaft wird Nahrung aus der menschenverachtenden Warenlogik des Kapitalismus reißen können.






1. Zitiert nach: “Junge Welt“ vom 12./13.4.08 „Hunger im Überfluss“
2. Zitiert nach: „Junge Welt“ vom 5./6.4.08 „Nahrung wird knapp“
3. http://diepresse.com/home/wirtschaft/economist/360125/index.do



Die herannahende Hungerkatastrophe – der britische „Economist“ spricht von einem Hunger-Tsunami –

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